Neue Modelle zur besseren Identifikation von Arzneistoff-bedingten Leberschäden

Das Projekt SysBioTop-Moving entwickelt tierversuchsfreie Teststrategien, um mögliche lebertoxische Wirkungen von Chemikalien und Arzneimitteilstoffen verlässlicher vorhersagen zu können. Prof. Dr. Marcel Leist berichtet im Interview von den Entwicklungen.

Wissenschaftlerin bei der Arbeit im Labor Wissenschaftlerin bei der Arbeit im Labor
Wissenschaftlerin bei der Arbeit im Labor Quelle: AdobeStock / tilialucida

Welchen Bereich schauen Sie sich in ihrem Projekt genau an und wo liegen die Herausforderungen?

Das Projekt beschäftigt sich mit der Vorhersage von Hepatotoxizität, also mit den giftigen Wirkungen auf die Leber. Im Verbund mit der BASF (Ludwigshafen) und dem IfADo (Dortmund) und verschiedenen ausländischen Partnern entwickeln wir hierfür quantitative Modelle, die bekannte Lebergifte möglichst gut beschreiben können. Die Herausforderung dabei ist, die Modelle so zu entwerfen, dass sie auch auf unbekannte Substanzen anwendbar sind. Dafür ist es wichtig, Veränderungen zu identifizieren, die typisch und spezifisch für Lebergifte sind, aber bei anderen, nicht-lebertoxischen Substanzen nicht oder in einer untergeordneten Relevanz vorkommen. Als Input für die zu entwickelnden Modelle greifen wir auf Datensätze aus in-vitro-Testmethoden zurück, die mit bekannten beziehungsweise potenziellen Lebergiften durchgeführt wurden. Eine große Herausforderung ist dabei zu definieren, welche Daten konkret für eine genauere Vorhersage benötigt werden. Dafür werden vor allem Testmethoden benötigt die qualitativ hochwertige Daten mit einer hohen Reproduzierbarkeit generieren können.

Vor dem Aspekt der immer noch vielfältigen Verwendung von Tierversuchen – etwa bei der Prüfung neuer Chemikalien sowie Überarbeitung der Bewertung existierender Chemikalien: Welches Potenzial sehen Sie in SysBioTop-Moving?

Wir sind zuversichtlich im Rahmen des Projekts eine Methode zu erforschen, mit der Lebertoxizität tierversuchsfrei prognostiziert werden kann. Ein Anwendungsbereich für die Methode wäre die Nutzung als Screening in der chemischen Industrie in den frühen Phasen der Wirkstoffentwicklung. Safer by Design ist hier das Stichwort. Damit können frühzeitig Substanzen mit einem wünschenswerten Profil (hohe Wirksamkeit bei geringer Toxizität) identifiziert werden. Die Methode wird alleine aber keinen Tierversuch in der Präklinik ersetzen können. Wir entwickeln den Ansatz daher als Teil einer Testbatterie - das heißt als Teil einer genau festgelegten Kombination aus verschiedenen Tests. Diese Kombination enthält dann auch Modelle für die Toxizität an anderen Organen. Langfristig gesehen könnten so auch regulatorisch vorgesehenen Toxizitätsstudien am Tier reduziert oder ersetzt werden.

Welche Fortschritte sahen Sie in den letzten Jahren für 3R im Bereich der Toxikologie? Wo sind Barrieren, die überwunden werden müssen?

Die größten Fortschritte sieht man im Bereich der lokalen Toleranz. Für die Bereiche Auge und Haut – etwa Irritation, Korrosion und Hautsensibilisierung, stehen heute bereits tierversuchsfreie NAM, New Approach Methods) zur Verfügung, die auch regulatorisch anerkannt sind. Sehr viel Entwicklungserfahrung bis hin zur OECD Akzeptanz bringt die Experimentelle Toxikologie und Ökologie der BASF ins Projekt mit ein. Viele wichtige toxikokinetische Parameter lassen sich bereits mit in-vitro-Methoden bestimmen. In den Bereichen DART (developmental and reproductive toxicity), STOT (specific target organ toxicity) und EDC (endocrine-disrupting chemicals) wurden bereits viele neue Testmethoden entwickelt. Große Herausforderungen bestehen noch bei der Validierung der Tests, bei der Qualitätskontrolle der Daten, bei der Interpretation der Daten, bei der Integration der Daten zur Gesamtbewertung des Gefährdungspotenzials und bei der kinetischen Einordnung der Ergebnisse, um letztendlich Dosisgrenzwerte abzuleiten.

Eine weitere Limitierung vieler derzeit verfügbarer Methoden ist, dass diese in der Regel engumgrenzte, spezifische Effekte untersuchen und nicht die Gesamtheit der Wirkungen in einem lebenden Organismus abdecken. Die Integration der Methoden insbesondere im Hinblick auf das Fehlen einer toxischen Wirkung steht als wichtiges Forschungsthema noch aus. Diese offenen Fragen erlauben zu diesem Zeitpunkt noch keine regulatorische Akzeptanz.

Wie läuft die Arbeit in einem internationalen Verbundvorhaben ab und was sind die Stärken und Schwächen solch internationaler Kooperationen?

Bei der kollaborativen Projektarbeit spielt es kaum eine Rolle, ob die Partner national oder international zusammengesetzt sind: Sprachlich, kulturell oder von den Reiseentfernungen her gibt es keine signifikanten Unterschiede. Kollaborative Arbeit zwischen Partnern aus Wissenschaft und Industrie erfordert aber effektive Kommunikationsstrukturen für regelmäßigen Austausch und einen höheren Aufwand an Projektmanagement, als wenn die Forschung nur an einem Ort in einer einzigen Abteilung stattfindet. Die Stärken eines internationalen kollaborativen Projekts liegen in der großen Breite verschiedener Expertisen, die zusammengeführt werden und die an einem Ort in der Regel nicht zur Verfügung stehen. Deutsche Institutionen haben damit die Möglichkeit, auf Daten von Kollaborationspartnern aus den europäischen Nachbarländern zugreifen zu können und die Modelle damit zu optimieren. Der entstandene Kenntnisgewinn ist bei einem internationalen Projekt direkt für mehrere europäische Institutionen verfügbar und stärkt damit auch den Forschungsverbund Europa. Um diese Stärke zu nutzen, muss für eine möglichst effiziente Interaktion gesorgt werden.

Ein Blick in die Zukunft: Wie gut wird Ihre jetzige Forschungsarbeit in die Praxis transferiert werden? Und wo besteht dabei noch Handlungs- und Forschungsbedarf?

Wir haben das Projekt stark auf die Übertragbarkeit in die Praxis ausgerichtet. Große Expertise bezüglich des direkten Bezugs auf den Menschen wird von Prof. Dr. J. Hengstler vom IfADo eingebracht. Gerade durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Industriepartnern und akademischen Partnern kann die anvisierte direkte Anwendbarkeit und Anwendung gesichert werden. Insgesamt ist jedoch immer zu berücksichtigen, dass Forschungsprojekte in der Spitzenforschung natürlich immer auch ein gewisses Risiko tragen. Das heißt, dass nicht immer alle Maximalziele erreicht werden. So müssen wir Maßnahmen zur Risikominimierung von Beginn an mitdenken und Teilergebnisse als Meilensteine definieren. So ist es zum Beispiel möglich, dass der Anwendungsbereich des zu entwickelnden Modells anfangs eingegrenzt ist und erst in einem Nachfolgeprojekt die demonstrierte prinzipielle Machbarkeit in eine breite Anwendung weiterentwickelt werden kann.

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