Sind Tierversuche, 3R-Maßnahmen und Alternativmethoden ethisch vertretbar?
Eine umfassende ethische Grundbildung fördert das Verständnis für 3R-Maßnahmen und deren Verbreitung – so das Credo der Projektleiterinnen des Verbundprojekts „3REthicsWeb“. Im Interview erläutern Prof. Dr. Christa Thöne-Reineke (Veterinärmedizinerin am Institut für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde der Freien Universität Berlin), Dr. Julia Dietrich (Arbeitsbereich für Didaktik der Philosophie und Ethik der Freien Universität Berlin) und Prof. Dr. Birgit Beck (Fachgebiet Ethik und Technikphilosophie der Technischen Universität Berlin) weitere Hintergründe.
Frau Prof. Thöne-Reineke, Frau Dr. Dietrich, Frau Prof. Beck, was verbirgt sich hinter 3REthicsWeb?
3REthicsWeb ist eine interdisziplinäre und modulare E-Learning-Plattform: Sie vermittelt nicht nur praxisrelevante (tier-)ethische Grundlagen und Argumentationsmuster zur ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen, sondern informiert zudem umfassend über ein ethisches Verständnis von 3R-Maßnahmen und Alternativmethoden.
Wo sehen Sie den größten Bedarf?
Forschende müssen im Rahmen eines Tierversuchsantrags die ethische Vertretbarkeit von Tierversuchen ausweisen. Hier fehlen jedoch häufig grundlegende interdisziplinäre ethische Kompetenzen, sodass die Antragstellung sowohl für Forschende als auch Tierschutzbeauftragte, Mitglieder von Genehmigungsbehörden und §15-Kommissionen regelmäßig eine Herausforderung darstellt. Die ethische Reflexion droht zu einer rein rhetorischen Übung und damit kontraproduktiv zu werden. Unsere Plattform fokussiert auf diesen zentralen Missstand im Kern der Praxis von 3R. Längerfristig wollen wir für die ethischen Fragen, die durch die Entwicklung und den Einsatz von Alternativmethoden entstehen, sensibilisieren.
Was ist das Besondere an Ihrem Ansatz?
Die Interdisziplinarität: Denn bestehende Institutionen und Formate zur Verbreitung des 3R-Konzepts und von Alternativmethoden zielen häufig breitflächig auf die erforderlichen natur- und lebenswissenschaftlichen Kenntnisse ab. Sie vermitteln dabei zwar meist (tier-)ethische Grundlagen, doch konkretisieren und verbinden sie diese nicht mit der Förderung interdisziplinärer ethischer Argumentations- und Diskurskompetenzen. Dadurch finden sie keinen Eingang in den Forschungsalltag. Diese Lücke wollen wir durch die interdisziplinär ausgerichtete und modulare E-Learning-Plattform schließen. Sie vernetzt und bündelt bestehende Angebote und Modelle, indem sie sie in ein ethisch und vermittlungstheoretisch fundiertes Kompetenzmodell einbindet.
Was können die Nutzenden von der Plattform erwarten?
Die Plattform richtet sich in erster Linie an Forschende sowie an Personen, die an Genehmigungsprozessen für Tierversuche beteiligt sind. Sie eignet sich auch für Personen, die entsprechend des modularen Aus- und Fortbildungsrahmens der EU oder an Universitäten und Schulen lehren. Unsere Lerninhalte unterstützen die Nutzenden anhand von Fallbeispielen aus der Grundlagenforschung, der translationalen Forschung und der Ausbildung dabei, eine wissenschafts- sowie tierethisch fundierte Einschätzung der ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen vorzunehmen. Konkret entwickeln sie während des Trainings ein vertieftes Verständnis für die Potenziale der Anwendung von 3R- und Alternativmethoden und lernen, interdisziplinäre ethische Kompetenzen in ihre Forschung und ihren Arbeitsalltag zu integrieren.
Wie kann eine Ethik in Bezug auf die 3R aussehen?
Das 3R-Konzept macht nur einen kleinen Teil der tierethischen Grundlagen aus, die bekannt sein müssen, um über eine ethische Vertretbarkeit von Tierversuchen ernsthaft reflektieren und diese gerechtfertigt einschätzen zu können. Forschende und an Genehmigungsprozessen Beteiligte müssen befähigt werden, sich mit diesem ethischen „Unterbau“ auf dem aktuellen Stand der tierethischen Debatte informiert auseinanderzusetzen und ihre je eigenen Argumentationen und Positionen begründet zu vertiefen. Darüber hinaus wirft die Entwicklung und Implementierung von Alternativmethoden neue tier- und humanethische Fragestellungen auf, die einer innovativen Ethik der Alternativmethoden bedarf.
Wir vermitteln den Nutzenden unserer Plattform eine sogenannte Ethical Literacy. Das ist eine (wissenschafts-)ethische Grundbildung in Form von basalen Kenntnissen und Kompetenzen z. B. der ethischen Urteilsbildung. Sie befähigt nicht nur dazu, ethische Fragen selbstständig zu entdecken, zu entwickeln und fundiert zu diskutieren, sondern auch an inter- und transdisziplinären ethischen Diskursen teilzuhaben.
Wie kann die Plattform möglichst viele Forschende erreichen?
Wir veröffentlichen die E-Learning-Plattform als Open Educational Resource. Das heißt, sie steht allen Interessierten in Forschung und Genehmigungsprozessen unentgeltlich zur Verfügung. Darüber hinaus ziehen wir bei der Erstellung und Erprobung der Plattform eine Vielzahl von Akteuren aus dem 3R Bereich ein, die sie in ihren Netzwerken bekannt machen werden.
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