Reduce: „Labore müssen Anreize erhalten, tierfreie Methoden zu etablieren“

Robuste Versuchsdesigns mit hoher Validität können dazu beitragen, Tierversuche auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren. Wir sprachen mit Dr. Ulf Tölch über seine Arbeit am BIH QUEST Center und die Chancen und Hürden bei der Reduktion von Tierversuchen.

Forschende im Labor Forschende im Labor - öffnet vergrößerte Ansicht
Robuste Ergebnisse können nur duch eine hohe Validität der Experimente gewährleistet werden. Quelle: Adobe Stock /D. Lahoud / peopleimages.com

Was waren Ihrer Meinung nach im Forschungsfeld „Reduce“ wichtige Meilensteine oder auch Fortschritte im Sinne einer Reduktion von Tierversuchen?

Bei Reduce geht es um die Reduzierung von Tierzahlen - sowohl in Experimenten selbst als auch in der Zucht der Tiere. Am wichtigsten ist die Erkenntnis, dass nur nach höchsten Standards geplante, durchgeführte und beschriebene Experimente robuste Ergebnisse liefern. Robuste Ergebnisse entstehen durch hohe Validität und Reliabilität in Experimenten. Zum einen muss ein Experiment verzerrungsfrei messen, was es messen soll (hohe Validität). Zur Reduzierung von Verzerrungen sollten bei Experimenten immer Verblindungen und Randomisierungen durchgeführt werden. Tiermodelle sollten zudem klinische relevante Parameter widerspiegeln. Weiterhin sollten Messungen in Experimenten zuverlässig sein, also eine hohe Wahrscheinlichkeit aufzeigen, dass in einer wiederholten Messung ein ähnliches Ergebnis erscheint (hohe Reliabilität). Ergebnisse aus diesen geplanten Experimenten werden einen wesentlichen Nutzen für die Wissenschaft generieren und die Anzahl von nicht reproduzierbaren Experimenten verringern, in denen Tiere nicht zum Erkenntnisgewinn beigetragen haben.

Was war ein Schlüsselmoment für Sie in Ihrer bisherigen Karriere in Bezug auf die Durchführung von Tierversuchen bzw. deren Reduktion?

Dies war eine in 2014 erschienene Serie von Artikeln in der Fachzeitschrift Lancet mit dem Titel Werte schaffen und Abfall reduzieren. Hierin wurden viele Herausforderungen der modernen biomedizinischen Forschung beschrieben, unter anderem der bereits geschilderte Zusammenhang zwischen Forschungsqualität und daraus resultierender Evidenz. Hierin liegt nun die Herausforderung, die Reduktion der Tierzahlen nicht als primären Indikator für Tierschutz zu verstehen. Man muss einen Schritt weitergehen und systemisch untersuchen, welche Versuche vermieden werden können, deren Versuchsdesign suboptimal gewählt wurde. Die Erforschung dieser Abwägungen erfordert dabei transdisziplinäre Ansätze, die Biostatistik, experimentelles Design und Versuchstierkunde zu verbinden. 

Was verbirgt sich hinter dem BIH Quest Center und wie genau können Sie die 3R-Community in ihrer Arbeit unterstützen?

Das BIH QUEST Center for Responsible Research beschäftigt sich mit verantwortungsvoller Wissenschaft. Verantwortungsvoll lautet für uns, dass Wissenschaft vertrauenswürdig ist. Dabei ist sie nicht nur nützlich für die Forschung und Gesellschaft, sondern wird auch ethisch sowohl in Bezug auf Tiere als auch Menschen durchgeführt. Ein wesentlicher Punkt ist, dass die drei Prinzipien Vertrauenswürdigkeit, Nützlichkeit und Ethik auch in Tierversuchen zusammengedacht werden müssen. So können Tierversuche ohne ein robustes Versuchsdesign keine belastbaren Daten generieren und somit ist die ethische Vertretbarkeit eventuell nicht mehr gegeben. Wir beraten Gruppen am Berlin Institute of Health zu Fragen eines verantwortungsvollen Designs bei Tierversuchen. Dies schließt auch die Beratung zu eventuellen tierfreien Ersatzmethoden mit ein. Hierzu findet ein reger Austausch mit dem Einstein Center für 3R in Berlin statt. Hier führen wir ein Projekt durch, das sich mit Strategien zur Verbreitung von tierfreien Ersatzmethoden beschäftigt.

Wo sehen Sie derzeit die größten Chancen bei der Reduktion von Tierversuchen und welche Probleme müssen dafür überwunden werden?

Ein wertvoller Ansatz, der von einer internationalen Arbeitsgruppe um Malcolm Macleod von der Universität Edinburgh vorangetrieben wird, sind systematische Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen von Tierversuchen. In diesen Forschungsprojekten werden aus der Zusammenschau publizierter Studien Schwachpunkte in einem Forschungsfeld identifiziert und gezielt Lücken für weitere Forschung ausgewiesen. Hierdurch werden unnötige Wiederholungsversuche vermieden, nicht in Tiermodellen wirksame Interventionen und Arzneimittel identifiziert und weitere Versuche gezielt informiert. Auch wenn diese Arbeiten ohne Labore auskommen, so tragen sie doch nicht unerheblich zu einer Reduktion unnötiger Tierversuche bei. 
Darüber hinaus hat Gilbert Schönfelder vom Deutschen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) in diesem Jahr in einem empfehlenswerten Kommentar dargelegt, wie sich nicht für Versuchszwecke verwendete Tiere vermeiden lassen und damit Tierzahlen reduziert werden. Angeführte Beispiele sind optimierte Zuchtstrategien und die Verwendung von beiden Geschlechtern in Experimenten. Auch hier kann durch eine verbesserte Planung der Experimente eine Reduktion erreicht werden.

Welche Möglichkeiten sehen Sie - vor allem in der Lehre und Ausbildung -, die Nutzung von Alternativmethoden weiter voranzutreiben?

Es ist wie mit jeder neuen Methode: Zu Beginn ist es schwer, sie in bestehende Curricula einzubauen, da Dozierende oft an Rahmenlehrpläne gebunden sind und aus den Fakultäten nicht zwingend ein Bedarf hierfür gesehen wird. Hier könnten Ansätze wie Online-Module, die Dozierende leicht übernehmen können, die Implementierung vereinfachen.
In einem Modell zur Verhaltensänderung ist die Ausbildung aber immer nur ein Aspekt. Wenn in den Laboren der Promovierenden keine tierfreien Modelle zur Verfügung stehen, dann werden sie trotz guter Ausbildung diese nicht anwenden können. Die Labore müssen Anreize erhalten, tierfreie Methoden zu etablieren. Alternativ können Kooperationen gestärkt werden, in denen gezielt Tierlabore mit Laboren, die tierfreie Methoden entwickeln, in Kontakt gebracht werden. Dann könnten Promovierende diese Methoden in dem Partnerlabor erlernen.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link: Datenschutz