Künstliche Intelligenz und in-silico – Trends in der 3R-Forschung

Künstliche Intelligenz (KI) rückt in der biomedizinischen Forschung immer stärker in den Fokus. Wie genau und wofür werden KI und in-silico-Methoden bereits jetzt in der 3R-Forschung eingesetzt? Und welches 3R-Potenzial besitzen KI-generierte Forschungsdaten mittel- und langfristig? Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „3R-Insights aus dem Labor“ des Bundesnetzwerks 3R diskutierten Expertinnen und Experten am 9. Oktober 2024 diese und andere Fragestellungen.

Entwickler arbeitet am Bildschirm Entwickler arbeitet am Bildschirm
KI und in-silico Methoden werden vermehrt in der 3R-Forschung eingesetzt. Quelle: AdobeStock / xartproduction

Ralf Mytzek-Zühlke, Leiter des Fachreferats 624 „Neue Methoden in den Lebenswissenschaften; Biotechnologie; Wirkstoffforschung“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), begrüßte die Teilnehmenden zusammen mit der Moderatorin Dr. Stefanie Demirci. In seinen einleitenden Worten hob er Künstliche Intelligenz als Schlüsseltechnologie des Fortschritts hervor. Um dieses Potenzial intensiver zu nutzen, brauche die Forschung mehr und bessere Daten. Das BMBF schaffe deutschlandweit eine Infrastruktur, die die Erhebung und den Austausch von Forschungsdaten erleichtere.

Die Keynote mit dem Titel „ToxAIcology – AI ist die Zukunft der Toxikologie“ hielt Prof. Dr. Thomas Hartung von der Johns Hopkins University und der Universität Konstanz. Tenor seines Impulsvortrags: In der Wissenschaft wird KI bald schon unverzichtbar sein. Im Sinne der 3R sei damit die Hoffnung verknüpft, bessere Aussagen zur Toxikologie oder Wirksamkeit von Substanzen treffen zu können, die die Vorhersagegenauigkeit von Tierversuchen übertreffe. Untersuchungen zeigten, dass manche KI-Modelle bereits jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit zur gleichen Aussage wie der Tierversuch kämen (Luechtefeld et al. 2018).

Prof. Hartung ist Partner des EU-Projekts ONTOX. Ziel des Konsortiums sei die Entwicklung einer Risikobewertung von Chemikalien, die ohne den Einsatz von Tieren auskommt. Dazu liest unter anderem eine KI Daten aus wissenschaftlichen Publikationen aus. Weiterhin wurden Importmöglichkeiten für Daten verschiedene 90 Datenbanken entwickelt, um deren Information unkompliziert zu integrieren.

Zuletzt verwies Prof. Hartung in seinem Vortrag auf das kürzlich initiierte Human Exposome Project. Dieses ziele darauf ab, die Aus- und Wechselwirkungen von Umwelteinflüssen auf die menschliche Gesundheit mit modernen Methoden wie KI zu entschlüsseln (Sille et al. 2024). Er lud Interessierte ein, sich am Projekt zu beteiligen.

Im Anschluss an die Keynote stellten drei Forschende vor, wie sie KI in ihrer Arbeit nutzen.

KI in der Forschung

Prof. Dr. Lars Küpfer, Leiter des Instituts für Systemmedizin mit Fokus auf Organinteraktionen an der Uniklinik Aachen, stellte sein vom BMBF gefördertes Vorhaben „MEDIATOR“ vor (Geci et al. 2024). Ziel des Vorhabens sei die Etablierung einer tierversuchsfreien Methode zur Bewertung des Medikamenten-induzierten Cholestaserisikos. Dazu kombiniere das Team machine learning-Modelle mit mechanistischen physiologie-basierten pharmakokinetischen (PBPK)-Modellierungen. Letztere könnten Eigenschaften bestimmter Subpopulationen wie Kinder oder Schwangere berücksichtigen und Geno- und Phänotypen zielgerichtet nachahmen. Die Verbindung beider Modelle wäre auch in der Lage, chronische Aspekte abzubilden. Die Voraussetzung für einen umfassenden Einsatz dieses Ansatzes ist die Verfügbarkeit von Patientendaten, die häufig noch limitiert ist. 

Charlott Danielson vom Fraunhofer-Institut für Individualisierte und Zellbasierte Medizintechnik (IMTE) erläuterte das BMBF-geförderte Vorhaben „CMS4Vent“. Ziel des Projekts sei die Entwicklung von automatisierten Beatmungsgeräten gemäß der individuellen Physiologie der Patientinnen und Patienten. Das Team möchte die (vor-)klinische Bewertung der Geräte verbessern und den bisher erforderlichen Tierversuch ersetzen. Dazu entwickelt es ein digitales Patientenmodell, das Lungenmechanik, Atemzentrum, kardiovaskuläres System und Gasaustausch nachbildet. Besonders herausfordernd seien fehlende Patientendaten, die die Grundlage für das Modell darstellen. Der in-silico-Simulator soll normiert werden und branchenweit für unterschiedliche Anwendungsfälle übertrag- und nutzbar sein.

Dr. Sylvia Escher, Bereichsleiterin Sicherheitsbewertung und Toxikologie & Abteilungsleiterin In-silico-Toxikologie am Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM), nutzt KI in der Risikobewertung von Chemikalien. Auf Basis mathematischer Modellierungen könnten Datenlücken geschlossen und die toxische Wirkung chemischer Stoffe abgeschätzt werden. Konkret arbeiten Dr. Escher und ihr Team an der Weiterentwicklung einer Methode zur quantitativen Struktur-Wirkungsbeziehung (QSAR) und optimieren sogenannte Read-Across-Systeme. Mittlerweile könnten diese Systeme gemeinsame Dynamiken und kinetische Eigenschaften von Stoffen aufzeigen. Bisher notwendige Tierversuche sollen damit künftig ersetzt werden. Voraussetzung sei auch hier eine entsprechende Datenmenge und -qualität.

Die Forschungsdateninfrastruktur weiterentwickeln

In der Paneldiskussion diskutierten die Expertinnen und Experten zusammen mit einem Vertreter aus der Industrie, Dr. Andreas Göller von der Bayer AG, weitere Aspekte des Themas. Ein grundlegendes Problem für die Arbeit mit KI seien häufig die fehlenden Daten von Patientinnen und Patienten aus Datenschutzgründen. Dies verringere gleichzeitig die Glaubwürdigkeit neuer KI-basierter Modelle. Vorhandene Daten müssten vor der Nutzung oftmals erst aufwändig kuratiert werden. Das Fazit am Ende der Diskussion: Zur umfangreicheren Nutzung von KI bedarf es einer größeren Datenverfügbarkeit, einer besseren Datenqualität sowie standardisierten und organisierten Forschungsdatenzentren.

Hier sehen Sie die Aufzeichnung:

Paneldiskussion im Rahmen der virtuellen Veranstaltung "Künstliche Intelligenz und in-silico – Trends in der 3R-Forschung" Quelle: BMBF

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