3R-Forschung in der Industrie – Innovationen im Blick

Welche Alternativmethoden zum Tierversuch sind in den Laboren der deutschen Industrie angekommen? Welche innovativen Ansätze werden noch erforscht? Welche Methoden werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen? Dazu diskutierten Expertinnen und Experten am 8. Februar 2024 bei der fünften Veranstaltung der Reihe „3R-Insights aus dem Labor“ des Bundesnetzwerks 3R.

Zwei Forschende in Laborkitteln sprechen im Labor. Zwei Forschende in Laborkitteln sprechen im Labor.
In der Industrie spielt das 3R-Prinzip eine große Rolle. Quelle: Adobe Stock / Gorodenkoff

Dr. Julia Engert, verantwortliche Referentin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), eröffnete die Veranstaltung. Sie blickte zurück ins Jahr 2023 auf den bisherigen Erfolgsweg des Bundesnetzwerks 3R mit seinen stetig steigenden Mitgliedszahlen. Auch der Zuwachs der registrierten Standorte auf der digitalen 3R-Landkarte auf der Plattform bundesnetzwerk-3R.de bestätige diesen Trend. Mit fast 700 registrierten Teilnehmenden bilde diese Veranstaltung zum Thema „3R-Forschung in der Industrie – Innovationen im Blick“ den aktuellen Rekord der Online-Veranstaltungsreihe.

Anschließend gaben verschiedene Forschende Einblick in industrielle Labore und die Arbeit mit 3R:

Dr. Marian Raschke, Head of Advanced Cellular Models der Bayer AG, referierte zu komplexen in-vitro-Zellmodellen mit Fokus auf den Organoid- und Organ-on-Chip-Technologien im Bereich der investigativen Toxikologie und Wirkstoffentwicklung. Diese Modelle könnten seiner Erfahrung nach humane (patho-)physiologische Prozesse zunehmend besser beschreiben als dies mit konventionellen Zellkulturen oder Tiermodellen möglich sei. Mögliche Einsatzgebiete wären die Identifizierung und Validierung pharmakologischer Interventionsstrategien, die Selektion relevanter Patientenpopulationen oder die präklinische Unterstützung der Wirksamkeits- und Sicherheitsprüfung neuer Therapeutika. Damit einher ginge die Hoffnung, präklinische Daten besser in relevante Therapieerfolge zu übertragen.

Dr. Silke Weber, Head Preclinical Safety der Abbvie Deutschland GmbH & Co. KG, thematisierte in ihrem Vortrag die Limitationen neuer 3R-Methoden in der Entwicklung pharmazeutischer Wirkstoffe. So seien bisher nicht alle Organe durch neue Technologien abbildbar, und es gäbe keine Modelle, die über alle unterschiedlichen Zelltypen eines Organs verfügten. Die Skalierung des Toxizitätsbereichs eines Stoffes vom Modell auf den Menschen stelle eine weitere Unwägbarkeit dar. Als Beispiele für den Einsatz alternativer Methoden im Bereich der präklinischen Sicherheitsbewertung nannte sie unter anderem die Aufklärung von Wirkungsmechanismen aufgetretener Befunde in in-vivo-Studien, aber auch die Nutzung komplexerer Alternativmethoden für spezielle Anwendungsszenarien, in denen keine in-vivo-Studien möglich seien, sondern aktuell einfache Zellkulturmodelle genutzt werden müssten. Für ausgewählte Endpunktewürden außerdem in-vitro-Screenings verwendet, um früh Wirkstoffkandidaten priorisieren zu können. Auch ziehe man historische Daten zu Rate, um künftig bessere Entscheidungen über künstliche Intelligenz treffen zu können.

Dr. Caroline Gomes, Head of Data- & Contract Management der BASF SE, erläuterte die Bedeutsamkeit der BASF-Qualitätsstandards für ihre Forschungsarbeit. Die BASF SE sei für die Good Laboratory Practice (GLP), Good in vitro Method Practices (GIVIMP) und den ISO-Standard 17020/17025 zertifiziert. Die Labore seien zudem von der Association for Assessment and Accreditation for Laboratory Animal Care (AAALA) akkreditiert. Dies gewährleiste eine standardisierte und einheitliche Arbeitsweise in den Laboren. Das Unternehmen greife für die Entwicklung neuer prädiktiver Methoden und im Rahmen der Risikobewertung unter anderem auf das Modell des Adverse Outcome Pathways (AOP) zurück. Es verknüpfe auf lineare Weise vorhandenes Wissen entlang einer oder mehrerer Reihen kausal verbundener Schlüsselereignisse zwischen einem molekularen auslösenden Ereignis und einem unerwünschten Ergebnis.

Dr. Andreas Schepky, Head of Global Toxicology der Beiersdorf AG, stellte die rund 40-jährige Tradition von Beiersdorf in der Entwicklung und Nutzung von Alternativen zu Tierversuchen vor. Das Unternehmen habe dabei mehrfache Erfolge bei der Validierung neuer tierversuchsfreier Methoden verzeichnen können. Zu den Entwicklungen gehöre z. B. ein in-vitro-Modell der Cornea, das den bisherigen Draize-Test ablöste und regulatorische Akzeptanz durch die OECD fand. Das Next Generation Risk Assessment (NGRA) stelle einen Paradigmenwechsel hin zur erfolgreichen Sicherheitsbewertung für kosmetische Inhaltsstoffe und Produkte ohne Tierversuche dar. Dafür brauche es aber auch das Vertrauen der Regulatoren und eine schrittweise Annäherung an neue Standards der Sicherheitsprüfung.

Wie verwertbar sind neue Innovationen aktueller Forschungsprojekte?

Der zweite Teil der Veranstaltung stand im Zeichen der Verwertbarkeit aktueller Forschungsansätze in der Praxis. In kurzen Elevator-Pitches präsentierten sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Wirtschaft, klinischen Einrichtungen und universitärem Umfeld aktuelle Projekte aus der BMBF-Förderung, um sie dann mit den Expertinnen und Experten und dem Plenum hinsichtlich künftiger Anwendbarkeit und Passfähigkeit für Labore der Industrie zu diskutieren. Dazu gehörten:

3G-BioInk (Prof. Andreas Blaeser, Black Drop Biodrucker GmbH): Entwicklung einer Plattformtechnologie, die auf einer Hydrogelformulierung basiert und mit verschiedenen Fasertypen angereichert ist, zur Lösung von Herausforderungen hinsichtlich Zellorientierung, Stimulation, Signaltransduktion und Nährstoffversorgung

Alzheimer 3D (Dr. Julien Klimmt, Klinikum der Universität München): Entwicklung von standardisierten, humanen 3D-in-vitro-Modellen der Alzheimer-Demenz, hergestellt durch eine Kombination von iPSC-Technologie, CRISPR/Cas genome editing, Stammzelldifferenzierung und 3D tissue engineering, zur Erforschung innovativer Targets

DementiaDrugScreen (Dr. Camin Dean, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE)): Entwicklung eines Hochdurchsatz-Screening-Systems basierend auf reprogrammierten menschlichen Zellen zur Identifizierung von Medikamentenkandidaten zur Behandlung von Demenz

HYCS (Dr. Stefan Munker, Klinikum der Universität München): Individuelle Kultivierung von Krebszellen mit der neu entwickelten „High-Yield-Complete-Spectrum (HYCS)“-Plattform zum Screening potentieller Pharmazeutika

LuOrgNTT (Prof. Dr. Diana Klein, Universitätsklinikum Essen): Entwicklung humaner stammzell-abgeleiteter Lungen-Organoide zur Analyse von Normalgewebsschäden, die bei der Strahlentherapie von Lungenkrebserkrankungen entstehen

RaidoGene (Volker Morath, Technische Universität München): Entwicklung einer neuartigen, patentierten Bildgebungstechnologie, die es ermöglicht, innovative Therapien mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) zu verfolgen

Erfolgsfaktoren für eine spätere Verwertbarkeit

In der Diskussion filterten sich vier Erfolgsfaktoren für eine spätere Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen in der Praxis heraus. Nach Ansicht der Expertinnen und Experten sollten:

  • Skalierbarkeit und Kosten in einem angemessenen Verhältnis stehen
  • Standardisierung zur Reproduzierbarkeit der Ergebnisse beachtet werden
  • Regulationsbehörden frühzeitig berücksichtigt werden
  • die konkreten Anwendungsfälle frühzeitig mitbedacht werden

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