3R in der Grundlagenforschung – Alternativmethoden auf dem Vormarsch?

Welche neuen Ansätze im Sinne des 3R-Konzepts werden in der Grundlagenforschung derzeit verfolgt? Wo sind die Chancen, wo die Grenzen auf diesem Gebiet? Welche Rolle spielt die Wissenschaftskommunikation in der Grundlagenforschung? Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „3R-Insights aus dem Labor“ des Bundesnetzwerks 3R diskutierten Expertinnen und Experten am 12. Juni 2024 diese Fragestellungen.

Wissenschaftlerin arbeitet am Mikroskop im Labor. Wissenschaftlerin arbeitet am Mikroskop im Labor.  - öffnet vergrößerte Ansicht
Grundlagenforschung ist die Basis für Erkenntnisgewinn und Fortschritt. Quelle: Adobe Stock / StockPhotoPro

Dr. Julia Engert, verantwortliche Referentin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), begrüßte die rund 430 Teilnehmenden und leitete zusammen mit der Moderatorin Dr. Stefanie Demirci ins Thema ein. Grundlagenforschung, verstanden als eine systematische Nachprüfung von ungeklärten Fragestellungen, bildet die Basis für Erkenntnisgewinn und Fortschritt. Darauf aufbauend entstehen neue Anwendungen, Innovationen und Technologien. Als Beispiel führte Frau Dr. Engert die Entdeckung von iPSCs (induzierte pluripotente Stammzellen) an. Dank der Forschungsarbeiten von Shinya Yamanaka können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute verschiedenste somatische Zelltypen zu Stammzellen reprogrammieren. Dadurch eröffnen sich vielzählige neue therapeutische Möglichkeiten für die Zell- und Gentherapie und die Möglichkeit, komplexe Organoide für die Forschung zu nutzen.

Das BMBF stellt gezielt Fördermittel bereit, damit Forschende neuen Ansätzen im Bereich Alternativmethoden zum Tierversuch nachgehen können. Es unterstützt zudem infrastrukturelle Projekte wie die europäischen Forschungsinfrastrukturen EU-OpenScreen und INFRAFRONTIER.

Im ersten Teil der Veranstaltung referierten drei Expertinnen zu ihren aktuellen Forschungen.

Prof. Dr. Marta Barenys Espadaler, Toxikologin am Deutschen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R), stellte einen Replacement-Ansatz für den Bereich der neurologischen Entwicklung vor. Gegenstand ihrer Untersuchungen sind die neurostrukturellen Auswirkungen einer intrauterinen Wachstumsrestriktion (IUGR), die das fötale Wachstum maßgeblich hemmt (Kühne et al., Biomedicines 2022; Kühne et al., Front Cell Neurosci. 2023). Bisher gebe es Prof. Barenys zufolge keine wirksame Therapie dagegen. Das Forschungsteam kombinierte ein tierisches in-vivo Modell mit einem tierischen Neurosphären-Modell zu einem neuartigen in-vitro Zellmodell. Es vereine die Vorteile beider Basismodelle und sei in der Lage, grundlegende Prozesse der Gehirnentwicklung nachzuahmen. Eine stetige Verbesserung der Aussagekraft des Modells helfe dabei, langfristig Tierversuche zu reduzieren, so Prof. Barenys. Künftig könne die Verwendung humaner iPSC anstelle von Primärzellen zu einem weiteren Durchbruch führen. Sie betonte, dass der Dialog zwischen den Disziplinen fortgesetzt werden müsse. So könnten Kombinationen mehrerer Methoden dabei helfen, bisherige Limitationen hinter sich zu lassen.

Dr. Sarah McCann, Gruppenleiterin am Berlin Institute of Health (BIH) der Charité, referierte über das Potenzial Systematischer Reviews, um Tierversuche zu reduzieren. Systematische Reviews stellen Dr. McCann zufolge eine robuste Methode zur objektiven und transparenten Synthese von Forschungsergebnissen dar. Als Beispiel nannte sie die Schlaganfall-Forschung, in deren Rahmen sie und ihr Team eine Meta-Analyse zum Einfluss von Komorbiditäten, Alter und Geschlecht durchführen. Die Analyse der Daten zeigte, dass nur ein geringfügiger Anteil der Studien Alters- oder Komorbiditätsmodelle wie Bluthochdruck einschloss. Die Forschenden beobachteten in einer Meta-Regressionsanalyse eine Variation des Infarktvolumens in jungen vs. (gealterten Tieren in zwei Tierspezies. Auch der Behandlungseffekt variierte in Abhängigkeit des Alters. Häufig ist eine Übertragbarkeit der Studienergebnisse aus dem Tiermodell nicht gegeben, was auch auf den Einfluss verschiedener Komorbiditäten zurückgeführt werden kann.

Durch eine bessere Wahl der Modelle und eine robuste experimentelle Planung könnten nicht nur Studien mit einer höheren Übertragbarkeit durchgeführt werden, sondern auch der Einsatz von Tieren in der Forschung verringert werde, so Dr. McCann. Eine kleine Anzahl gut durchgeführter Studien wäre aussagekräftiger als viele Studien mit einer geringen Abbildung der Realität und Übertragbarkeit auf den Menschen.

Weiterführende Informationen und kostenlose Webinare zu diesen Themen sind bei Stroke-SOLES und COReS zu finden.

Dr. Nadine Baumgart, Fachwissenschaftlerin für Versuchstierkunde (GV-SOLAS) und Leiterin der TARCforce 3R der Universitätsmedizin Mainz, berichtete über ihre Refinement-Erfahrungen beim Training von Mäusen und Ratten. Gezieltes Training verringere die Langeweile der Tiere und reduziere deren Stress, so Dr. Baumgart. Eine gute Mensch-Tier-Beziehung sei grundlegend für belastbare, reproduzierbare Ergebnisse der Experimente. Eine Methode sei das Positive Reinforcement Training in Kombination mit einem konditionierten Verstärker (z. B. Klickertraining oder Futter). Bei Ratten habe sich Tickling bewährt.

Trainierte Mäuse zeigten weniger Vokalisation (Ruflaute, die auf Unwohlsein hindeuten) und Floating-Verhalten im Schwimm-Test (ein Hinweis auf depressive Verstimmungen). Dies war unabhängig davon, wie engagiert die Tiere beim Training waren (Leidinger et. al, JoVE 2017). Ein ähnliches Verhalten wurde bei Ratten beobachtet (Leidinger et. al, JoVE 2018).

Dr. Baumgart betonte, dass eine tierfreundliche Haltung nicht unbedingt viel Arbeit bedeute. Viele Methoden könnten sich leicht in den Laboralltag integrieren lassen. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Training und Experiment sollte angestrebt werden.

Die Rolle der Wissenschaftskommunikation

Im zweiten Teil der Veranstaltung diskutierte das Plenum über die Rolle der Wissenschaftskommunikation in der Grundlagenforschung. Dazu zählten Dr. Nadine Baumgart, Fachwissenschaftlerin für Versuchstierkunde (GV-SOLAS) und Leiterin der TARCforce 3R der Universitätsmedizin Mainz, PD Dr. Bettina Bert, Fachgruppenleiterin Tierschutz und Wissenstransfer am Deutschen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R), Dr. Torsten Rackoll, Research Fellow am Berlin Institute of Health (BIH) der Charité, und Dr. Roman Stilling, wissenschaftlicher Referent der Informationsinitiative "Tierversuche verstehen“ der Allianz der Wissenschaftsorganisationen.

Sehen Sie hier die Aufzeichnung:

Paneldiskussion im Rahmen der virtuellen Veranstaltung "3R in der Grundlagenforschung - Alternativmethoden auf dem Vormarsch?" Quelle: BMBF

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